Schröder, Martin: Wann sind wir wirklich zufrieden?

Statistik

Von tg

 

„Doch warum Zufriedenheit statt Glück berechnen? Dafür gibt es gute Gründe: Glück hängt von Emotionen ab und schwankt deswegen wild, oft ohne erkennbare Muster. Ob wir zufrieden sind, folgt hingegen einer einfachen Regel: Zufrieden sind wir, wenn unser Leben unseren Vorstellungen und Wünschen entspricht.“


Kein Ratgeber mit einfachen, bewährten Rezepten für ein glückliches, zufriedenes Dasein. Nein, eine Analyse der Begleitumstände, die auf Zufriedenheit tatsächlich einen Einfluss haben. Martin Schröder, Professor für Soziologie an der Phillipss-Universität Marburg, hat Daten des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) ausgewertet. Seit 1984 hat das DIW rund 85000 Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen insgesamt über 600000-mal befragt, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind. Die Daten lassen nicht nur Schlussfolgerungen zu, ob und wann Menschen zufriedener sind als andere, sondern geben auch Auskunft darüber, wie sich bestimmte Veränderungen auf das Wohlbefinden des Einzelnen auswirken. Tragen Familie, Freiheit, Freizeit zur Lebenszufriedenheit bei? Heirat, Haushalt, Halbtagsjob? Was ist der richtige Partner? Warum haben Ostdeutsche einen schlechten Einfluss auf Zugezogene? Welche Partei wählt der Unzufriedene? Muss es im Alter abwärts gehen? Was sagen die Big Five der Persönlichkeitseigenschaften über meine innere Ausgeglichenheit aus? Auf der Suche nach Antworten geht der Autor akribisch wissenschaftlich vor, erklärt anhand von Grafiken die Zusammenhänge, nimmt einschlägige Literatur zu Hilfe, hinterfragt Kapitalismus, Buddhismus, Psychologie, lässt persönliche Erfahrungen humorvoll einfließen und liefert „Überraschende Erkenntnisse zu Arbeit, Liebe, Kindern, Geld“. So interessant, erstaunlich und unterhaltsam kann Statistik sein!


„Wann sind wir wirklich zufrieden? – Überraschende Erkenntnisse zu Arbeit, Liebe, Kindern, Geld“ von Martin Schröder, Sachbuch, C. Bertelsmann Verlag, 288 Seiten.

Menschen gewöhnen sich an Probleme – Das ZEITENWENDE-Interview

Für seine aktuelle Buchveröffentlichung „Wann sind wir wirklich zufrieden?“ hat Martin Schröder, Professor für Soziologie an der Universität Marburg, statistische Daten aus über 30 Jahren ausgewertet. Die ZEITENWENDE hat ihn gefragt, wie die Corona-Pandemie unsere Lebenszufriedenheit beeinflusst.  Von tg

ZEITENWENDE: Herr Schröder, Statistiken erscheinen eindeutig, werden aber häufig unterschiedlich interpretiert. Wie kommt das?

 

Schröder (Foto: © Christian Stein): Sie können natürlich die objektiv selben Daten auf positive oder negative Art darstellen. Wenn ich Ihnen sage, dass 20 % aller Ehen in den ersten fünf Jahren geschieden werden, hört sich das nach einem großen Problem an. Wenn ich ihnen allerdings sage, dass 80 % der Ehen die ersten fünf Jahre überdauern, ist das objektiv dieselbe Information, die sich aber auf einmal nicht mehr nach einem Problem, sondern nach einer positiven Nachricht anhört. Genauso kann ich Ihnen sagen, dass nur noch ungefähr 10 % der Menschheit in extremer Armut lebt, obwohl der Anteil Anfang der 80er Jahre etwa 4-mal so hoch war. Das hört sich ziemlich positiv an. Ich kann aber genauso gut sagen, dass immer noch ungefähr 700 Millionen Menschen auf der Welt extrem arm sind, auf einmal hört sich dieselbe Zahl ganz furchtbar an.

ZEITENWENDE: Für ihr aktuelles Buch haben Sie einen riesigen Datensatz auf Basis einer Langzeit-Studie gesichtet. Nach welchen Kriterien haben Sie die Daten ausgewertet und anschließend präsentiert, damit sie möglichst objektiv und unmissverständlich sind?

Schröder: Erst einmal schaue ich mir selten an, ob bestimmte Gruppen in der Bevölkerung zufriedener oder unzufriedener als andere sind, sondern ob dieselbe Person zufriedener oder unzufriedener ist, nachdem ihr etwas Bestimmtes passiert ist. Daraus kann man ableiten, welche Ereignisse im Leben welchen Effekt auf Zufriedenheit haben. Ansonsten ist es aber vor allem auch wichtig, die Grenzen der statistischen Analyse überhaupt klarzumachen und nicht vorzuspielen, dass man von einem statistischen Effekt beispielsweise direkt etwas auf sein eigenes Leben ableiten kann. Das mache ich im Buch immer wieder, so dass man sich selbst überlegen kann, ob man selbst durch das zufrieden wird, was viele andere zufrieden macht.

 

ZEITENWENDE: Sie haben festgestellt, dass es mitunter eine Diskrepanz zwischen dem subjektiven Empfinden von Zufriedenheit und der eigentlichen Realität gibt. Wir sogar von Krise sprechen, obwohl es uns gut geht. Geben Sie ein paar Beispiele.

 

Schröder: Den meisten Menschen in Deutschland – und auch in fast allen anderen Ländern auf der Welt – geht es sehr gut. Die durchschnittliche Lebenszufriedenheit in Deutschland ist beispielsweise bei 7 von 10 möglichen Punkten und die Hälfte der Menschen sehen sich sogar bei 8, 9 oder 10 von 10 möglichen Punkten. Nur 15 Prozent geben sich 0 bis 5 Punkte, ganz wenige sehen sich also als wirklich unzufrieden an. Allerdings geht kaum jemand davon aus, dass es allen anderen genauso gut geht wie ihm oder ihr selbst. Das ist wie beim Autofahren: jeder denkt, er ist ein besonders guter Autofahrer, vermutet jedoch, dass alle anderen nicht so gut fahren. Genauso hat fast jeder von uns den Eindruck, sein Leben sei eigentlich ganz okay, ohne aber zu wissen, dass es fast allen anderen auch so geht.

 

ZEITENWENDE: Welche äußeren Faktoren beeinflussen unsere Zufriedenheit am stärksten?

 

Schröder: Geld, zumindest wenn man keines hat, soziale Beziehungen und Schlaf sind die wichtigsten Einflussfaktoren.

 

ZEITENWENDE: chicksalsschläge haben gravierende Auswirkungen. Wie lange dauert es, bis ein Mensch sich von einschneidenden Erlebnissen erholt hat?

 

Schroder: Wenn beispielsweise Ihr Ehepartner verstirbt, haben Sie sich nach etwa sieben Jahren erholt. Es ist eigentlich fast egal, was Menschen passiert, ein paar Jahre später hat man sich von fast allem erholt und es geht einem ungefähr so gut wie zuvor.

 

ZEITENWENDE: Wir befinden uns mitten in einer Krise. Wie wirken sich die Corona-Pandemie und damit einhergehende Beschränkungen von Alltag und Berufsleben auf das Wohlbefinden des Einzelnen aus.

 

Schröder: Ziemlich wenig. Aus England gibt es zwar ein paar beunruhigende Daten, dass Schlaf- und Konzentrationsprobleme sich ungefähr verdoppelt haben. Aber in Deutschland scheint es so, als ob die Krise auf die generelle Lebenszufriedenheit überhaupt keine Auswirkungen hatte, sagen zumindest die Daten des sozio-ökonomischen Panels, die ich auch für mein Buch ausgewertet habe

 

ZEITENWENDE: Welche Personengruppen leiden besonders unter der Corona-Krise und warum?

 

Schröder: Interessanterweise gerade nicht diejenigen, die durch das Virus besonders gefährdet sind. Besonders stark leiden nicht die Alten, sondern die Jungen. Die Erklärung? Es liegt nahe, dass gegenüber ihrem sonstigen Leben sich besonders Jugendliche stark einschränken mussten. Wer die ganze Zeit seine Freunde trifft, der ist natürlich durch den Lockdown und die sonstigen Maßnahmen stärker betroffen, als wer sowieso schon viel zu Hause ist. Und Letzteres trifft vor allem für Ältere zu, deren Lebenszufriedenheit aufgrund der Krise am wenigsten zurückgegangen ist.

 

ZEITENWENDE: Kann Statistik etwas darüber aussagen, wie wir am besten durch eine Krise kommen? Sie vielleicht als Chance nutzen können?

 

Schröder: Die Daten zeigen: unzufriedener ist, wer seine Freunde zu selten sieht und wer weniger Kontrolle über sein Leben hat. Es spricht also vieles dafür, dies so gut es geht zu ermöglichen, solange es virologisch möglich ist.

 

ZEITENWENDE: Eine persönliche Frage. Was macht Sie zuversichtlich, dass wir die Corona-Krise gut überstehen?

Schröder: Ich würde das sogar umdrehen: Es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass uns das langfristig das Leben vermiesen wird. Erstens, weil Menschen sich an ganz andere Probleme gewöhnen, zweitens weil ja doch die Hoffnung besteht, dass irgendwann ein Impfstoff gefunden wird oder wir Beschränkungen finden, die – wie es schon der Fall ist – Menschen ein halbwegs normales Leben ermöglichen und drittens, weil wir in der Vergangenheit ganz andere Probleme durchgestanden haben, ohne dass die Gesellschaft dauerhaft traumatisiert war. Ich sehe also überhaupt keinen Grund, davon auszugehen, dass Menschen längerfristig unzufriedener werden, nur weil es jetzt mal ein Virus gibt und wir alle ein bisschen darauf achten müssen, dieses nicht zu verbreiten.